EBG Newsletter 2022/1

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EBG Newsletter 2022/1

Apr 1, 2022 | News

Liebe Leserinnen und Leser des Newsletters der Ernst-Bloch-Gesellschaft,

in der Vorweihnachtszeit des vergangenen Jahres ist Inge Jens gestorben. Unser aktueller Bloch-Newsletter enthält einen Nachruf auf die Literaturwissenschaftlerin.

Dem Andenken an ihren im Februar verstorbenen Ehrenpräsidenten Burghardt Schmidt widmet die Ernst-Bloch-Gesellschaft ihre Tagung „Naturallianz“ im Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen am 13. und 14. Mai 2022. Details zur Tagung finden Sie in diesem Newsletter.

Zudem gibt es, wie üblich, Hinweise auf Neuerscheinungen und anstehende Veranstaltungen.

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ebg-news@web.de

1 Zum Tod von Inge Jens

„Einfach tun, nicht groß drüber reden.“

Am 23. Dezember 2021 ist die Literaturwissenschaftlerin, Autorin, Mut machende, engagierte Pazifistin und zur gelebten Alltagssolidarität fähige Inge Jens in ihrer Wahlheimat Tübingen im Alter von 94 Jahren verstorben. Die am 11. Februar 1927 in eine großbürgerliche, hanseatische Familie hineingeborene Inge Puttfarcken wollte ursprünglich Ärztin werden. Aber in Hamburg gab es für sie keine Möglichkeit, Medizin zu studieren. So kam sie nach Tübingen und begann das Studium der Literaturwissenschaften, das sie mit einer Promotion abschließen konnte. In Tübingen lernte sie Walter Jens kennen, den sie 1951 heiratete. Früh reiste sie mit ihrem Mann zu den Zusammenkünften der Gruppe 47. Dort entstanden Bekanntschaften u.a. mit Ilse Aichinger, Heinrich Böll, Ernst Bloch, Hans Mayer. Dieser Kreis war durchaus programmatisch zu verstehen, insofern als dort zwei Grundthemen immer mitgeschwungen sind: Einmal die Aufarbeitung der verdrängten deutschen, durch das Nazi-Regime ausgelösten Katastrophe und zum anderen die Kritik am entstehenden „CDU-Staat“. Auf eine akademische Karriere hat sie wegen der Familie verzichtet. Gleichwohl war sie früh als freiberufliche Autorin für den Rundfunk tätig.

In den ersten Jahren mag sie als die Frau an der Seite eines bedeutenden Gelehrten betrachtet worden sein. Doch sehr schnell schwamm sie sich frei und erlangte bereits in den 1960er Jahren eine eigenständige Bedeutung als Autorin und Herausgeberin, wie etwa mit dem Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Ernst Bertram (1960), daran anschließend mit den kommentierten Tagebüchern von Thomas Mann (1995), und schuf damit von der Fachwelt anerkannte Standards der philologischen Forschung, wofür sie auch mit der Thomas-Mann-Medaille ausgezeichnet werden sollte. Mit diesen Forschungsarbeiten von Inge Jens waren die Grundlagen geschaffen für den gemeinsam mit Walter Jens verfassten Bestseller „Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim“ (2003).  Darauf folgte unmittelbar – nun wieder als alleinige Autorin – „Das Leben der Hedwig Pringsheim“ (2005), das ebenfalls große Beachtung finden sollte, weil sie hier ein Kapitel der großen, untergegangenen jüdischen Kultur in Deutschland zeichnet. Die Welt der Manns zeugt aber auch von einem gewissen Interesse an einer vergangenen, in Deutschland nie vorherrschend gewordenen, liberal gesinnten bürgerlichen Welt und ihren bewahrenswerten Spuren, welche die Nazis bekämpft und exiliert hatten.  Hier stand sie sicherlich in der Tradition der Gruppe 47. Dieses Interesse beschränkte sich aber nicht allein auf die Manns. Darüber gibt ihre umfangreiche Publikationsliste zu literarisch und auch in musikalischer Hinsicht interessanten Persönlichkeiten Auskunft. So veröffentlichte sie u.a. die Aufzeichnungen des Literaturhistorikers und Schriftstellers Max Kommerell und gab die Tagebücher des Chanson- und Opernkomponisten Ralph Benatzky heraus (2002), wo sie das Thema Exil aus der Perspektive eines Musikers ausleuchtet. Auch den Aufzeichnungen der Pianistin und Komponistin Caroline Lang hat sie sich zugewendet. Immer wieder „lieferte sie wichtige Bausteine zur Erinnerungskultur der Deutschen“, wie ihr langjähriger Lektor schreibt.

Eine besondere Bewandtnis kommt der Edition der Briefe und Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl, „Die ‘Weiße Rose‘“ (1984), zu. In der Sendung des WDR 5 vom 21.10.2012 „Erlebte Geschichten mit Inge Jens – Schriftstellerin“ schildert sie ausführlich die widrigen Begleitumstände, unter denen dieses Buch entstanden ist und schließlich veröffentlicht werden sollte. Dieses Radio-Dokument eröffnet einen aufschlussreichen Einblick in ihre Handlungsmotive, ihr wissenschaftliches Selbstverständnis, ihre Lernfähigkeit, in ihre offene, direkte, hellwache Gabe mit Menschen und Ereignissen umzugehen, in ihre mit klarer Vernunft nüchtern abwägende und zur Selbstkritik fähige Persönlichkeit – Fähigkeiten, die keine Selbstverständlichkeit sind. In dieser Sendung geht es um nichts weniger als um Kontinuität und Brüche deutscher Geschichte und Nachkriegsgeschichte, um die historische Rolle der Widerstandsgruppe Weiße Rose, hier speziell um die Bedeutung der Geschwister Hans und Sophie Scholl sowie ihres Freundeskreises und Umfeldes.

Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl, und ihr Mann, Otl Aicher, waren mit Walter und Inge Jens gut bekannt gewesen. Sie kannten sich aus der Friedensbewegung und durch die von Inge Aicher-Scholl gegründete und geleitete, legendär gewordene Ulmer Volkshochschule, an der Walter Jens damals regelmäßig Vorträge hielt. Inge Aicher-Scholl bat Inge Jens darum, die Briefe und Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl herauszugeben. Inge Jens willigte ein, was sie später bereuen sollte. Denn die Aichers stellten Inge Jens kein einziges Originaldokument zur Verfügung, sondern nur Abschriften, die sie selbst angefertigt hatten und in denen noch nicht einmal Auslassungen kenntlich gemacht waren. Das war natürlich mit dem „editorischen Gewissen oder dem Gewissen der Wissenschaftlerin“ Inge Jens nicht vereinbar. Dennoch sollte sie der Herausgabe dieser Texte nähertreten. „Es war die Magie des Namens Weiße Rose“, „eine halb politische und halb menschliche Herausforderung“, wie sie erzählt. Sie war ja selbst im „III. Reich“ in der Hitlerjugend als Jungmädel-Führerin aktiv gewesen – wie es auch die Geschwister Scholl gewesen waren – und bedauert, dass sie nicht einen entsprechenden Entwicklungsweg wie diese, hin zum Widerstand, nehmen konnte. Inge Jens begann erst nach dem „Zusammenbruch“ 1945 darüber nachzudenken, was geschehen war, bekennt sie selbstkritisch. Die Auseinandersetzung mit den Geschwistern Scholl ist für Inge Jens auch Selbstreflexion, die Frage nach dem Umgang mit ihrer eigenen Biographie und sie wird daraus für sich ihre Schlussfolgerungen ziehen.

Wider besseren Wissens hat sie das Buch fertig gestellt. Als es bereits druckfertig war, ließ sie der Lektor von S. Fischerwissen, dass die beiden Aichers die Publikationsrechte verweigern würden. Grund war das Vorwort von Inge Jens, in dem sie den Widerstand von Hans und Sophie Scholl historisch verortet und die Entwicklung der Geschwister Scholl von der Hitlerjugend zum Widerstand schildert; dieser würde nur verständlich werden, wenn man berücksichtigt, dass die Widerstandsaktionen der beiden nur durch die Weiße Rose insgesamt und ihr Umfeld ermöglicht werden konnten. Das war für die beiden Aichers zu viel: Sie wollten in Hans und Sophie Scholl den Kern des Widerstandes, die Weiße Rose sehen. Das war der inhaltliche Konflikt zwischen Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher einerseits und Inge Jens andererseits. S. Fischer hat es aber großzügigerweise ermöglicht, dass dieses umstrittene Vorwort als eigenständiger Essay in der Neuen Rundschau veröffentlicht werden konnte. Ein umfassenderes Gesamtbild der Widerstandsgruppe Weiße Rose und ihres Umfeldes und deren historische Einordnung wird Inge Jens später nachholen können, als sie gemeinsam mit Anneliese Knoop, der Schwester von Willi Graf, dessen Aufzeichnungen ediert. Sophie und Hans Scholl waren nicht die Weiße Rose und sie waren aus der Sicht von Inge Jens keine Helden und schon gar keine Strategen, sie waren für sie „ganz normale Studenten“, „die sich einfach dagegen wehrten, dass in Deutschland ein Regime herrschte, was ihre Entwicklungsmöglichkeiten dermaßen beschnitt, Entwicklungsmöglichkeiten, die sie, die Scholls und ihre Freunde, elitär erzogen, […] für unabdingbar für die menschliche Entwicklung hielten.“ Und darin steckte für Inge Jens ein Erbe: „Ich denke, dass sie recht hatten damit!“ Gleichwohl hat Inge Jens dieser fragwürdigen Edition – ohne der Veröffentlichung ihres Vorwortes – zugestimmt, weil das Buch etwas bewirken sollte, das Thema Weiße Rose sollte eine breitere öffentliche Wirksamkeit entfalten, was auch geschehen ist. So hat sie, wie sie selbstkritisch sagt, zu „einer Mythenbildung“ im Sinne von Inge Aicher-Scholl beigetragen, die sie eigentlich verhindern wollte. Entscheidend war eine nüchterne, vernünftige Abwägung. Das Buch erschien 1984 auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung gegen die Mittelstrecken-Raketen, in der sowohl Inge Aicher-Scholl als auch Inge Jens nicht nur aktiv, sondern auch Leitfiguren waren. Inge Jens wollte einen „Krach“ mit Inge Aicher-Scholl vermeiden, um keine „Divergenz in der Friedensbewegung aufzuzeigen. Es war wichtiger gemeinsam gegen die Atomraketen zu demonstrieren, als dass mein Vorwort in dem Buch erschien.“

Trotz dieses unerfreulichen Konfliktes hatte Inge Jens die Größe, die unbestreitbaren Verdienste von Inge Aicher-Scholl zu würdigen. Inge Aicher-Scholls Verdienst war es, dass sie das Schicksal ihrer Geschwister gleich nach dem Krieg öffentlich gemacht hat („Die Weiße Rose“, 1947 geschrieben, 1954 veröffentlicht). Politischen Einfluss erzielte sie mit ihrer legendären Ulmer Volkshochschule, der Geschwister-Scholl-Stiftung, die auch Trägerin der an die Bauhaus-Tradition anschließende Fachhochschule für Gestaltung wurdesowie ihrem Engagement in der Friedensbewegung. Sie hat, wie Inge Jens sagt, im besten Sinne „volksaufklärerisch und volksbildend“ gewirkt. Sie betont: „Diese Ulmer Volkshochschule ist eben aus der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht wegzudenken.“ Sie hat in Ulm alle versammelt, die schreibend versucht haben, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Inge Jens Originalton: „Mit ihrer Volkshochschule hat sie unendlich viel zum geistigen Fundament der Bundesrepublik (…) beigetragen, das kann gar kein Zweifel sein.“ Sie stellt ganz ernüchtern fest: „(…) kleine Sachen spielen an einem Punkt keine Rolle mehr, werden auch irrelevant.“

Inge Jens hat die Beschäftigung mit den Geschwistern Scholl  als einen persönlichen Lernprozess verstanden und für sich positiv gewendet: „Ich habe gelernt, Verweigerung muss ganz, ganz früh anfangen, […], ich hätte mich schwerer mit dem Mutlangen-Widerstehen getan, ohne diese Vorarbeit, ich wäre auch nicht so schnell und so hundertprozentig überzeugt gewesen, dass es notwendig ist zu widerstehen, ohne diese späte, aber für mich nicht zu späte Erfahrung, die ich durch die Arbeit mit den Dokumenten gewonnen habe“. So erklärt sie sich ihren Mut, den sie aufbringen konnte, um an der Seite ihres Mannes das Pershing-II-Depot in Mutlangen zu blockieren. Im zweiten Irakkrieg 1991 versteckten Inge und Walter Jens scheinbar ganz selbstverständlich in ihrem Haus desertierte US-Soldaten, um sie der amerikanischen Militärjustiz zu entziehen, wofür sie beide später verurteilt wurden, wegen „Beihilfe zur Fahnenflucht“.

In den vielfältigen Nachrufen wird – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt, dass Inge Jens auch ein Studium der Sozialpädagogik absolviert hat. Alltagssolidarität verstand sie als eine praktisch einzulösende Tugend. Als Ulbrichts SED sich anschickte, sich und die Bevölkerung der DDR einzumauern, Ernst und Karola Bloch damit ausmauerte – sie waren zu dem Zeitpunkt in Frankfurt am Main – und sie mehr oder weniger mittellos in Tübingen ankamen, fanden sie ihre erste Bleibe in der Wohnung der Familie Jens, die diese den beiden fraglos zur Verfügung stellte. Im Verein mit Inge und Walter Jens sorgten Julie Gastl und Ruth Eva Schulz für freundliche Aufnahme und Einführung von Ernst und Karola Bloch in Tübingen. Einte sie doch alle das Erbe an einer bestimmten Kultur des liberalen deutschen Bürgertums. Ans Ende ihrer Erinnerungen „Aus meinem Leben“ (1981,1995) stellt Karola Bloch einen Abschnitt mit der Überschrift „Danksagung“. Sie gilt Inge und Walter Jens. Sie dankt ihnen für die vielen guten Hinweise und enthüllt, dass ohne Inge Jens diese Erinnerungen ihr Publikum wohl nie erreicht hätten. Inge Jens hat das Manuskript betreut, hat mehr oder weniger das Lektorat für dieses Buch besorgt und Karola Bloch bedankt sich für die vielen Jahre der Freundschaft und gelebten Alltagssolidarität.

Ihrem letzten Buch „Langsames Entschwinden“ (2016), in dem sich Inge Jens mit dem Schicksal ihres an Demenz erkrankten Mannes beschäftigt, war kein Glück beschieden, ja, es führte sogar zu Anfeindungen. Das Ansinnen dieses Buches war es, diese versteckte und gesellschaftlich verdrängte Krankheit öffentlich zu machen, was oft nicht verstanden wurde, manchmal vielleicht auch nicht verstanden werden wollte. Bereits 2009 hat Inge Jens ihre Lebenserinnerungen verfasst, die „Unvollständigen Erinnerungen“. In mancherlei Hinsicht knüpfen diese Erinnerungen an die „Ungeschriebenen Memoiren“ von Katia Mann an und daraus lässt sich lernen, was sie wenige Wochen vor ihrem Tod so auf den Punkt brachte: „Einfach tun, nicht groß drüber reden.“

Text: Werner Wild

2 Publikationshinweise

2.1 Ricarda Gugg, Wassilios Baros (Hrsg. u. a.): Utopie und Widerstand: Bloch, Ideologiekritik und Bildung

In der Zeitschrift conflict & communication online ist ein Band erschienen, in dem Fragen nach der Aktualität von Blochs Utopieverständnis im Mittelpunkt stehen: Inwieweit kann utopisches Denken gegenwärtig noch widerständig wirken? Vermögen Musik und Literatur in diesem Zusammenhang noch eine Rolle zu spielen, indem sie als ‚Fenster in die Zukunft‘ fungieren? Lässt sich für die Bildungspraxis emanzipatorisches Potential aus dem Werk Blochs ziehen?

Die Beiträge des Bandes sind online auf der Seite des Regener Verlags abrufbar.

Ricarda Gugg, Wassilios Baros (Hrsg. u. a.): Utopie und Widerstand: Bloch, Ideologiekritik und Bildung, conflict & communication online, Bd. 20, Nr. 2, 2021.

2.2 Björn Hayer: Utopielyrik. Möglichkeitsdimensionen im poetischen Werk

Während an Analysen des utopischen Gehalts von Prosatexten kein Mangel ist, bleibt die Lyrik in diesem Zusammenhang vielleicht nicht vollends unbelichtet, aber doch eindeutig im Hintertreffen. Björn Hayer unternimmt den Versuch diese Lücke zu schließen, indem er (mithilfe eines Verständnisses der Utopie, das an Bloch angelehnt ist) den Möglichkeitsdimensionen in den Werken von Friedrich Hölderlin, Rainer Maria Rilke und Paul Celan nachspürt.

Björn Hayer: Utopielyrik. Möglichkeitsdimensionen im poetischen Werk (Friedrich Hölderlin, Rainer Maria Rilke, Paul Celan). Bielefeld: Transcript Verlag 2021 (ISBN 978-3-8376-5805-7, 60 €).  

2.3 Werner Wild: Der Maulwurf sous la terre. Ernst Bloch in Leipzig 1949-1961

In der Zeitschrift Narthex ist eine Ausgabe zur Philosophie in der DDR erschienen, die sowohl historische Entwicklungen nachzuzeichnen als auch Anschlussmöglichkeiten für gegenwärtige Debatten aufzuzeigen versucht. 

In seinem Aufsatz setzt sich Werner Wild mit Ernst Blochs Zeit in der DDR auseinander.

Werner Wild: Der Maulwurf sous la terre. Ernst Bloch in Leipzig 1949-1961. In: Narthex 6 (Und der Zukunft zugewandt…Philosophische Perspektiven auf die DDR), 2020, S. 18-27. 

2.4 Moritz Rudolph: Der Weltgeist als Lachs

In seinem geschichtsphilosophischen Essay skizziert Moritz Rudolph die Entwicklung des (hier durchaus materialistisch gewendeten) Weltgeistes als die eines Lachses: Gegenwärtig sei er dabei, zum Laichen und Sterben an seinen Geburtsort (bei Hegel: China) zurückzukehren, wo eine Mixtur aus politischem Autoritarismus und KI-bedingter Kontrollmöglichkeiten ein wahrhaft endgeschichtliches Zeitalter herbeiführen könne – und zwar in Gestalt einer vollends verwalteten, alle Spontaneität abwürgenden und materielle Behaglichkeit bietenden Welt. Die momentanen Krisenentwicklungen innerhalb westlicher Demokratien deutet Rudolph als Vorboten dieser Entwicklung. 

Moritz Rudolph: Der Weltgeist als Lachs. Berlin: Matthes & Seitz 2021 (ISBN: 978-3-7518-0507-0, 12 €).  

2.5 Matthias Hansl: Erschöpfte Utopien. Dahrendorf, Habermas und das Ende der »trente glorieuses«

Die These einer Parallelentwicklung in den intellektuellen Biografien von Ralf Dahrendorf und Jürgen Habermas liegt Matthias Hansls Arbeit zu den beiden Denkern zugrunde: Wenngleich verschiedenen ideengeschichtlichen Lagern angehörend, sei Dahrendorf und Habermas zeitgleich die Perspektive auf ein utopisches Großprojekt – i. e. das eines sozialen Liberalismus respektive das eines demokratischen Sozialismus – schal geworden. Die weit ausgreifenden Gesellschaftsentwürfe, die beide in der jungen Bundesrepublik entworfen hätten, zeigten sich im Laufe der 70er und 80er Jahre – angesichts linken Terrors, Thatcherismus und Reaganomics – zusehends erschöpft.  

Matthias Hansl: Erschöpfte Utopien. Dahrendorf, Habermas und das Ende der »trente glorieuses«. Berlin/Boston: De Gruyter 2021 (ISBN: 978-3-1107-1161-5, 69,95 €).

2.6 Christian Brühl: Sehnsucht und Krisenbewusstsein. Studien zum frühen Erzählwerk Klaus Manns (1924-1926)

Christian Brühl hat eine Studie zum erzählerischen Frühwerk Klaus Manns vorgelegt, in der die Untersuchung der ästhetischen und zeitdiagnostischen Qualitäten der Texte/Textsammlungen Die JungenDer fromme Tanz und Kindernovelle im Mittelpunkt stehen. In den Analysen spielen Verbindungslinien zur Philosophie Blochs eine zentrale Rolle.

Christian Brühl: Sehnsucht und Krisenbewusstsein. Studien zum frühen Erzählwerk Klaus Manns (1924-1926). Würzburg: Königshausen & Neumann 2021 (ISBN: 978-3-82607-498-1, 54 €).

3 Veranstaltungshinweise

3.1 Tagung „Naturallianz“ der Ernst-Bloch-Gesellschaft 
(Ludwigshafen, vsl. 13./14.05.2022)

Die Tagung der Ernst-Bloch-Gesellschaft zum Thema „Naturallianz“ findet voraussichtlich am 13. und 14. Mai 2022 im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen (Rhein) statt. Eingeladen sind u. a. Vertreter*innen der „Fridays for Future“-Bewegung.

Die Tagung ist dem Gedenken an den verstorbenen Burghart Schmidt gewidmet.

Weitere Informationen sowie das genaue Tagungsprogramm werden im Vorfeld der Veranstaltung sowohl über diesen Newsletter bekanntgegeben als auch auf der Homepage der Ernst-Bloch-Gesellschaft: https://ernst-bloch-gesellschaft.de/

3.2 Symposion: „Utopie und Widerstand. Ideologiekritik • Politische Musik • Bildung“ (Salzburg, 8-10.06.2022)

Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde das Ernst Bloch Symposion Salzburg unter dem Titel „Utopie und Widerstand. Ideologiekritik • Politische Musik • Bildung“ mehrfach verschoben. Es findet jetzt am 08-10.06.2022 statt.

Das Symposium wird von Vertreter*innen der Universität Salzburg und der Bergischen Universität Wuppertal organisiert. Ziel der Veranstaltung ist es, Blochs Philosophie mithilfe transdisziplinärer wissenschaftlicher und künstlerischer Beiträge in die Bildungswissenschaften hineinzutragen. Im Mittelpunkt werden u. a. die Themen Widerstand, Utopie und politische Kunst/Musik/Literatur stehen. Es sind Keynotes von Prof. Dr. Francesca Vidal (Landau), Prof. Dr. Micha Brumlik (Frankfurt a. M.) und Prof. Dr. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Kassel) angekündigt.

Weitere Informationen zu Programm und Anmeldung sind zu finden unter: http://blochsymposionsalzburg2020.sbg.ac.at/wordpress/

4 Verschiedenes

4.1 Videoaufzeichnung des Symposiums „Konkrete Utopien mit und nach Ernst Bloch“

Ende Juni 2021 fand im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen (Rhein) ein Symposium zum Thema „Konkrete Utopien mit und nach Ernst Bloch“ statt. Die Tagung war Teil der 1. Biennale für Neue Musik der Metropolregion Rhein-Neckar, in deren Rahmen unter dem Titel „Konkrete Utopien“ vom 11.6-4.7 eine Vielzahl von Veranstaltungen stattfanden. Francesca Vidal und Reinke Schwinning hielten Vorträge, das Klangforum Heidelberg sorgte für musikalische Beiträge.

Ein Mitschnitt der Veranstaltung ist jetzt auf dem neuen YouTube-Kanal des Ernst-Bloch-Zentrums abrufbar.

4.2 Neue deutsch-brasilianische Arbeitsgruppe „DE-BRücke“

In der fachübergreifend ausgerichteten Arbeitsgruppe „DE-BRücke“ haben sich Philosoph:innen, Wirtschafts-, Sozial- und Rechtswissenschaftler:innen zusammengeschlossen, um den Austausch marxistischer Ideen zwischen der deutschen und der brasilianischen Wissenschaftsgemeinschaft zu fördern. Dazu sind Studienaufenthalte, gemeinsame Seminare und Veröffentlichungen geplant.

Weitere Informationen sind der Homepage der Arbeitsgruppe zu entnehmen.

4.3 Video „Book Launch and discussion: Ernst Bloch’s speculative materialism“

Im Dezember wurde die jüngste Buchveröffentlichung von Cat Moir live per YouTube gestreamt. In Ernst Bloch’s Speculative Materialism nimmt Moir Blochs Ontologie im Materialismusproblem in den Blick, um das Bild von Bloch als in der Romantik verhafteten, naivem Realisten zu revidieren. 

Die Präsentation des Buches und eine ausführliche Diskussion sind auf YouTube verfügbar.

4.4 Artikel-Serie zur Philosophie Blochs von Frank-Peter Hansen

Der Schriftsteller und Philosoph Frank-Peter Hansen hat eine Aufsatzserie zur Philosophie Ernst Blochs verfasst, die auf dem Internetauftritt des Magazins Kulturport erschienen ist. Mit subjektivem Zugriff begibt sich Hansen auf eine Spurensuche durch das Werk Blochs, bei der sowohl Seitenblicke auf andere Philosophen als auch auf diverse Schriftsteller geworfen werden.

Der Auftakttext der Artikelserie ist hier abrufbar.

Impressum:

Ernst-Bloch-Gesellschaft Ludwigshafen e.V

Die Gesellschaft ist im Vereinsregister des Amtsgerichts Ludwigshafen unter VR 1824 eingetragen.

Vorstand

Prof. Dr. Francesca Vidal, Präsidentin
Dr. Johan Siebers, Vizepräsident
Werner Wild, Vizepräsident

Prof. Dr. Gert Ueding, Vorstandsmitglied
Reinhard Werk, Schatzmeister
Dr. Reinke Schwinning, Vorstandsmitglied
Manuel Theophil, Vorstandsmitglied

Kontakt

Ernst-Bloch-Gesellschaft
Geschäftsführung

Reinhard Werk
Albrecht-Dürer-Str. 3
72076 Tübingen

Redaktion des Newsletters

Manuel Theophil / Reinke Schwinning