Der Philosoph Ernst Bloch war nicht nur Teil politischer Bewegungen, er hat diese immer auch als Ausdruck der Zeit wissenschaftlich interpretiert. Bloch war als Philosoph gesellschaftlich-politisch orientiert, immer war er dem im geschichtlichen Prozess erst Vorscheinenden zugewandt. Insofern ist seine Philosophie eine, die politische, kulturelle und philosophische Phänomene reflektiert und das Geschichtliche immer mit dem Utopischen in Verbindung bringt. Bloch war in und mit seiner Philosophie stets politisch, hat Stellung bezogen, Diskurse angeregt und reflektiert und er hat politische Bewegungen analysiert. Ist seine Philosophie deshalb politische Philosophie?
Hans-Ernst Schiller beginnt das von ihm herausgegebene Buch ‚Staat und Politik bei Ernst Bloch‘ mit dem Satz: „Ernst Bloch ist im ausgezeichneten Sinn ein politischer Philosoph.“ (S. 9) Er erklärt dessen Philosophie der Form nach als politisch, da diese eine kämpfende, eingreifende Philosophie sei. Schiller hebt dabei Blochs Arbeit über Thomas Münzer hervor und bezeichnet das Blochsche Denken als chiliastisch im Sinne eines Hinweises darauf, dass sowohl der geschichtliche als auch der menschliche Prozess als ein messianisches Geschehen gedeutet werden, mithin als eines des beständig notwendigen Exodus, mit dem Ziel der Umgestaltung der Welt durch den Menschen selbst. Dabei sei Blochs Sprache in den Schriften seit den dreißiger Jahren ontologisch, jedoch ohne die chiliastische Grundstruktur zu verlassen.
Schiller fragt nun, welche Auswirkungen dieses Vorgehen auf den Blochschen Staatsbegriff hat und macht diese Frage zur zentralen im Hinblick auf die Bewertung der Philosophie als politisch. Dabei zieht er den Schluss, dass sich innovatives Denken in dessen Erläuterungen zum Naturrecht finden lassen, aber Staatstheorie nicht genügend reflektiert sei. Trotzdem gäben seine Schriften wichtige Impulse in Hinblick auf die Frage nach der Würde des Menschen, und gerade dies mache dessen Erläuterungen zu Staat und Politik aktuell.
Mit dieser Aktualität beschäftigen sich dann die Autoren des Bandes, geeint in dem Bemühen – wie Schiller schreibt – die Perspektiven sichtbar zu machen, die Blochs Texte eröffnen können, woraus sich die Gliederung des Bandes in Begriffe, Eingriffe und Perspektiven (S. 16) ergeben hätte.
Exemplarisch herausgegriffen werden soll hier Gunzelin Schmid Noerrs Aufsatz über Blochs Analyse faschistischer Propaganda (79-105). Wie schnell es gelingen kann, dass die Sprache von Propagandisten und Agitatoren auch in der politischen Mitte Anklang finden, zeigt die jüngste Geschichte. Umso wichtiger ist es, sich damit zu beschäftigen, wie hier die Sprache genutzt wird, um in sogenannten Krisenzeiten eine Orientierung an, wie Schmid Noerr sagt, „Vorstellungen von einer fest umrissenen, sich aggressiv abschottenden Gemeinschaft und einer autoritären Führung“ populär zu machen und zugleich „Gruppen von Schwachen und Außenseitern zu Zielscheiben von Wut und Ausgrenzung“ werden zu lassen (S. 79).
Auch wenn gegenwärtig digitale Medien die Radikalisierung populistischer Äußerungen und die Häufigkeit von Tabubrüchen beschleunigen, sind radikaler Nationalismus, Xenophobie und Autoritarismus nicht neu und die Methoden, den Anhängerkreis zu erhöhen, haben sich in Hinblick auf die rhetorischen Mittel nicht verändert. Ernst Bloch gehört zu den ersten, die die Sprache der Propagandisten genauer untersucht hat, der aufgezeigt hat, was deren Methoden anziehend machte und warum ihnen nicht allein mit Fakten und Zahlen begegnet werden kann. Schmid Noerr schildert uns ausführlich den Kulturkritiker Bloch, der als scharfer Beobachter Zeitphänomene beschreiben und bewerten konnte und damit bis heute ein Rüstzeug gegeben hat, die Sprache der Propagandisten genau zu beobachten, um daraus auch Schlüsse zu ziehen, wie diesem Vorgehen begegnet werden kann. Etwa wenn er schildert, wie Bloch auffordert, die Emotionalität nationalsozialistischer Propaganda auch im Sinne wirklich revolutionären Denkens zu nutzen. Bloch steht hier durchaus in der Tradition antiker Rhetorik, die immer wieder betont, dass politische Rede nicht nur vom Logos geprägt sein darf, sondern eben auch von Ethos und Pathos. Wie sagt schon Cicero: „Der vollkommene Redner […] wird also der sein, der auf dem Forum und in Zivilprozessen so spricht, daß er beweist, daß er unterhält, daß er beeinflußt. Beweisen ist Sache der Notwendigkeit, Unterhalten eine Frage des Charmes, Beeinflussen aber bedeutet den Sieg: dieses eine vermag ja am meisten von allen die Entscheidung zu bestimmen.“ (Orator 2004, S. 21)
Schmid Noerr zeigt Bloch durch die Analyse seiner Kritik an der Propaganda als jemanden, der es verstand, mittels scharfer Beobachtung Alltagsphänomene zu reflektieren und gerade durch seine Kulturanalysen den Nährboden faschistischen Denkens aufgedeckt zu haben. Sein Beitrag wird dadurch zu einer Darlegung der Kulturanalysen Blochs, die laut Schmid Noerr durchaus nicht immer leicht zu verstehen sind, da dessen Sprache stets gebildete Leser voraussetzte. Aber gerade dadurch, dass auch das Forschungsfeld dargelegt, Blochsche Analysen im Zusammenhang mit seiner Theorie der Ungleichzeitigkeit gestellt und der Fortschrittsbegriff erläutert werden, macht der Autor deutlich, wie sehr das Nachvollziehen der Blochschen Beobachtungen einen kritischen Blick auch auf heutige Phänomene schulen kann.
Wie Schmid Noerr sind auch die anderen Autoren (Autorinnen sind leider nicht dabei) im Kreis der Bloch-Forschung nicht unbekannt, sei es nun der Herausgeber selbst, Oskar Negt und Arno Münster oder aus dem Kreis der jüngeren Forscher etwa Ivan Boldyrev oder Robert Plum. Alles im allem tragen sie dazu bei, dass es sich durchaus lohnt, sich mit dem Politischen der Blochschen Philosophie zu beschäftigen und die Aktualität des Blochschen Ansatzes hervorzuheben.
Francesca Vidal